15.07.2019
Halbzeit beim Festival Palatia Jazz: Starke Auftritte von Joshua Redman, Bill Laurance, Bill Evans und dem Trio Shalosh aus Israel
Von Dietrich Wappler
Wenn Jazz unter freiem
Himmel stattfindet, ist das Wetter ein Thema. In Neustadt ächzte man
unter der Hitze, auf Villa Ludwigshöhe verzauberte eine perfekt
temperierte magische Nacht, in Germersheim vertrieben Regenschauer das
Publikum zwischendurch unter schrille Capes oder in trockene Ecken.
Dafür war die Musik durchweg großartig, und ein wenig Jazzgeschichte gab
es obendrauf.
„Still Dreaming“ hat der US-amerikanische Saxophonist Joshua Redman ein Quartett benannt, mit dem er vor einem Jahr ein bemerkenswertes Album aufnahm und nun auf Tour ist. Der 50-Jährige beschäftigt sich hier mit der Musik eines anderen Quartetts aus den späten 1970er Jahren, zu dem auch sein Vater Dewey Redman gehörte und das wiederum auf ein Ensemble Ornette Colemans Bezug nahm, das Ende der 1950er den Weg zum Free Jazz bahnte. Freiheit war damals ein großes Aufbruchsversprechen, melodische Themen wurden zu signalhaften Kürzeln, swingende Rhythmen zu nervösem Pulsieren, Energie ein Zustand kurz vor der Explosion. Für Joshua Redman, der längst seinen eigenen Platz in der Jazzgeschichte eingenommen hat, ist das Vergangenheit. Er sucht in dieser Musik nicht den revolutionären Geist, sondern die musikalische Qualität.
Und wie gewaltig diese ist, demonstrierte er in der alten Festungsanlage in Germersheim, zelebrierte die kunstvoll gebauten Stücke von Coleman oder Don Cherry, entfachte in seinen gleißenden Soli noch einmal deren Energie. Don Cherrys Part hat nun der Kornettspieler Ron Miles, ein filigraner Techniker, der das Material in seinen Soli dekonstruiert, in abstrakte Gleichungen zerlegt und gleichzeitig in funkelnder Schönheit erstrahlen lässt. Und Scott Colley am Kontrabass sowie der für die Tour vom Trio The Bad Plus ausgeliehene Schlagzeuger Dave King wollten mit ihrem druckvoll-zupackenden Spiel zwar keine musikalischen Revolten auslösen, aber doch klarmachen, welche Kraft noch immer in dieser Musik steckt. Als Zugabe spielen sie Colemans „Turnaround“ als smarte Swingnummer und machten es damit noch mal amtlich: Avantgarde ist gar nicht so schlimm!
Für Miles Davis gilt das ohnehin. Dessen als harmloses Kinderliedchen getarnte Komposition „Jean Pierre“ hatte sich Bill Evans beim Auftritt auf Villa Ludwigshöhe bis zum Schluss aufgehoben und damit elegant die Kurve zur eigenen Jazzvergangenheit genommen. Der US-Saxophonist gehörte 23-jährig zur Band des berühmten Trompeters, als dieser das Stück 1981 live einspielte. Davis hatte sich sechs Jahre lang mehr mit Drogen als mit Musik beschäftigt, das Comeback wurde skeptisch beobachtet. Ohne viel zu proben ging die neu zusammengestellte Band auf Tour und hatte Erfolg. Evans nähert sich dem bekannten Stück mit distanzierter Gelassenheit. Auch der Electric Jazz ist heute Geschichte, die brodelnde Mixtur längst abgekühlt. Für eine hitzige Sommernacht reicht das aber immer noch. Mit dabei hatte Evans seine neue Band Spy Killers. Gary Grainger zupft und schlägt da einen coolen Slapping-Bass, Schlagzeug-Legende Wolfgang Haffner sorgt für teutonische Druckwellen, und Jungspund Simon Oslender an den Keyboards entpuppt sich als Riesentalent.
Bei Ensembles aus Europa oder Israel sind die musikalischen Wurzeln meist noch weiter verzweigt, dringen auch in klassischen Boden vor oder holen sich ihre Nährstoffe mal in der Popmusik. Das aus Tel Aviv stammende Trio Shalosh mit dem Pianisten Gadi Stern hat offenbar beste Erinnerungen an die Synthiepopper von A-ha. Deren Hit „Take on me“ testeten sie auf seine Jazztauglichkeit, spielten ansonsten eine Musik zwischen romantischem Pathos, orientalischen Beats und melancholischen Melodien. Ein Stück wie „After the War“ erinnerte daran, dass die politische Gegenwart für eine israelischen Musiker nicht einfach ist.
Der Brite Bill Laurance hat andere Sorgen und gibt beim Auftritt im Park der Villa Böhm in Neustadt gleich zu Protokoll, dass er zu den „48 percent remainers“ gehört, also unbedingt in der EU bleiben möchte. Weltoffen ist auch die Musik des Pianisten, den man als Mitglied der Band Snarky Puppy kennt. Groovejazz trifft da auf Debussy, knallharte Dancebeats auf verträumte Klangmalerei. Seine neue CD „Cables“ klingt eher düster, um den technologischen Fortschritt geht es da und um die Frage, ob wir als Menschen mit diesen Neuerungen wirklich mithalten können. Die Hitze des Nachmittags war da längst verschwunden und die Köpfe waren wieder frei für eine Musik, die nicht bloß in die Beine geht.
Ausgabe
Die Rheinpfalz - Nr. 161
Datum
Montag, den 15. Juli 2019